Der Fall der ausbleibenden Gefolgschaft

„Es scheint, Ibbson, als hät­te die AfD in Ibben­bü­ren kei­nen nen­nens­wer­ten Zulauf an Gefolgs­leu­ten gefun­den“, bemerk­te Sher­libb Hol­mes mit einem nach­denk­li­chen Blick durch die nebel­ver­han­ge­nen Stra­ßen sei­ner Gedan­ken. „Zur Kom­mu­nal­wahl, so berich­tet man, ver­moch­ten sie nicht eine ein­zi­ge See­le für ihre Lis­te zu gewin­nen. Und für den zur Kreis­tag? Ledig­lich vier Namen tau­chen aus dem Dunst auf: Johan­nes Brink­mann, Alfons Schür­mann, Chris­ti­ne Bend­schnei­der und Mar­gret Wid­der­mann. Eine mage­re Schar, wenn man bedenkt, wie laut­stark man­che Krei­se ihre Sache ver­tre­ten. Ein Fall, der mehr von Schwä­che als von Stär­ke zeugt, nicht wahr?“

Hol­mes, der mit sei­ner Pfei­fe am Fens­ter stand und die Schat­ten der war­men Abend­däm­me­rung beob­ach­te­te, wand­te sich um, ein Fun­keln in den Augen. „Ibbson, die Ange­le­gen­heit wird kom­ple­xer, wenn man die Fäden der jüngs­ten Ent­wick­lun­gen ent­wirrt. Lass uns die Spu­ren wei­ter­ver­fol­gen, denn die Zei­chen der Zeit enden nicht mit die­ser schlich­ten Beob­ach­tung.“

Er leg­te eine Akten­no­tiz auf den Tisch, die von den jüngs­ten Akti­vi­tä­ten der AfD in Ibben­bü­ren zeug­te. „Im Herbst des Jah­res 2024“, begann er, „ver­kün­de­te ein Spre­cher des Kreis­ver­ban­des, mit der Zuver­sicht eines Man­nes, der den Wind in den Segeln wähnt, dass die AfD beab­sich­ti­ge, bis Ende des Jah­res einen Stadt­ver­band in Ibben­bü­ren zu grün­den. Doch, Ibbson, beach­te die Wort­wahl: vor­aus­sicht­lich. Ein Wort, das mehr Zwei­fel als Gewiss­heit birgt. Der Bun­des­tags­wahl­kampf, so behaup­te­te er, habe die orga­ni­sa­to­ri­schen Plä­ne ‚ein wenig nach hin­ten gewor­fen‘ – eine Aus­re­de, so durch­sich­tig wie das Glas im Fens­ter hin­ter mir.“

Hol­mes schritt zum Kamin, die Hän­de hin­ter dem Rücken ver­schränkt. „Der Spre­cher erwähn­te ein Tref­fen im Janu­ar, zu dem angeb­lich mehr als fünf­zig See­len erschie­nen sei­en – ein beein­dru­cken­der Zulauf, wenn man sei­nen Wor­ten Glau­ben schenkt. Doch die Umstän­de die­ses Tref­fens sind höchst auf­schluss­reich. Es war eine gehei­me Zusam­men­kunft, in einer Gast­stät­te abge­hal­ten, fern der neu­gie­ri­gen Augen der Öffent­lich­keit. War­um die­se Heim­lich­keit? Der Spre­cher selbst lie­fert die Ant­wort: aus Furcht vor ‚anti­de­mo­kra­ti­schen Gegen­de­mons­tra­tio­nen‘ und Angrif­fen auf ihre Ver­an­stal­tun­gen. Eine bemer­kens­wer­te Recht­fer­ti­gung, die mehr über die Iso­la­ti­on der Grup­pe als über ihre Stär­ke ver­rät.“

„Und was wur­de bei die­sem Tref­fen bespro­chen?“ frag­te ich, wäh­rend ich eif­rig mit­schrieb.

„For­ma­li­tä­ten, Auf­ga­ben, Erwar­tun­gen – die übli­chen Phra­sen, die Män­ner wie jener nut­zen, um den Anschein von Tat­kraft zu erwe­cken“, fuhr Hol­mes fort. „Er pro­phe­zei­te eine Grün­dung des Stadt­ver­ban­des nach der Bun­des­tags­wahl, für die zwölf Mit­glie­der von­nö­ten sei­en. Eine beschei­de­ne Zahl, möch­te man mei­nen, doch bis zum heu­ti­gen Tage – wir schrei­ben August 2025 – ist kein sol­cher Stadt­ver­band aus dem Nebel auf­ge­taucht. Eine viel­sa­gen­de Stil­le, Ibbson.“

Er hielt inne, sei­ne Augen ver­eng­ten sich, als er die Fak­ten wie Schach­fi­gu­ren ord­ne­te. „Der Spre­cher beton­te, der Stadt­ver­band sol­le sich auf kom­mu­nal­po­li­ti­sche The­men kon­zen­trie­ren – eine noble Absicht, die in schar­fem Kon­trast zu den het­ze­ri­schen Tönen des frü­he­ren Anfüh­rers steht, von dem wir spra­chen. Doch die Rea­li­tät, Ibbson, ist ernüch­ternd. In Len­ge­rich, Rhei­ne und Stein­furt mögen Stadt­ver­bän­de exis­tie­ren, doch in Ibben­bü­ren bleibt die AfD ein Phan­tom, unfä­hig, selbst die beschei­dens­te Mann­schaft für die Kom­mu­nal­wahl auf­zu­stel­len. Vier Namen für den Kreis­tag – Brink­mann, Schür­mann, Bend­schnei­der, Wid­der­mann – und nicht einer für die Kom­mu­ne. Ein Man­gel an Rück­halt, der Bän­de spricht.“

Hol­mes nahm einen tie­fen Zug an sei­ner Pfei­fe, bevor er fort­fuhr: „Die Behaup­tung von fünf­zig Inter­es­sier­ten klingt nach einer Ver­zweif­lungs­tat, um die eige­ne Bedeu­tung auf­zu­blä­hen. Doch ohne Taten, ohne einen sicht­ba­ren Stadt­ver­band, bleibt dies nichts als Rauch in der Luft. Der Kreis­ver­band, so scheint es, ist eben­so von den loka­len Gescheh­nis­sen abge­schnit­ten wie ein Mann, der in einem Turm ohne Fens­ter sitzt.“

„Was schlie­ßen Sie dar­aus, Hol­mes?“ frag­te ich, fas­zi­niert von der Schär­fe sei­nes Ver­stan­des.

„Dass die AfD in Ibben­bü­ren, Ibbson, ein Schat­ten ihrer selbst ist“, ant­wor­te­te er mit einem küh­len Lächeln. „Ihre Plä­ne sind groß, ihre Wor­te laut, doch ihre Taten blei­ben aus. Der Fall ist kein Rät­sel der Stär­ke, son­dern eines der Schwä­che – ein Man­gel an Zuspruch, an Orga­ni­sa­ti­on, an Sub­stanz. Und den­noch, Ibbson, bleibt die Fra­ge: Was braut sich in den Tie­fen die­ses Schwei­gens zusam­men? Das ist das wah­re Mys­te­ri­um, das wir im Auge behal­ten müs­sen.“

Mit die­sen Wor­ten wand­te sich Hol­mes wie­der dem Fens­ter zu, die Pfei­fe in der Hand, wäh­rend die Schat­ten der Nacht sich über Ibben­bü­ren leg­ten – ein Ort, an dem die Ambi­tio­nen der AfD, so schien es, wei­ter­hin im Nebel ver­harr­ten.

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